Menschen als Schachfiguren

Ablösung von Führungskräften? Weiter auf anderen Positionen mit kleinerem oder gar keinem Führungsanteil? Kein Problem, solange sie doch ihr Geld bekommen. Oder?

Einleitung

Morgens um 10:30 Termin beim Personalchef. „… und deshalb sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass wir Sie nicht mehr als Führungskraft bei uns einsetzen wollen, wir bauen aber weiterhin auf Ihr hervorragendes fachliches Know-how und Ihr Engagement.“ Eine Welt ist aus den Angeln gehoben.

Warum trifft uns eine solche Botschaft so hart? An und für sich ändert sich doch lediglich der Arbeitsplatz und das auch noch in der gleichen Firma. Ein Erklärungsmodell bietet hier Robert Dilts mit den „logischen Ebenen der Veränderung“ an. In seiner Arbeit bezieht er sich auf die Lerntheorie von Gregory Bateson.

Im Laufe des Lebens erleben wir Menschen sehr viel und lernen daraus, bewusst oder unbewusst. Auf Grund dieser Erfahrungen und  durchaus auch eigener Gedankenleistung erschaffen wir etwas, was wir landläufig als unsere Persönlichkeit bezeichnen. Reflektieren wir unser Denken und Handeln, so kann ein differenziertes Selbstbild entstehen (… ich kenne mich doch, …). Jedoch auch wenn wir weniger reflektiert leben, haben wir eine Vorstellung von uns selbst.

Persönlichkeit

Nach Dilts ist die oberste Ebene die Zugehörigkeit. Wer ist meine Familie? Zu welcher Gruppe, Gesellschaft oder Firma gehöre ich? Hier entsteht die Bindung zu unserem Umfeld. In der Vergangenheit hing das eigene Überleben davon ab, einer starken Gruppe anzugehören, um zusammen zu jagen und kalte Winter zu überstehen.

Auf der zweiten Ebene ist die Identität angesiedelt. Also wer bin ich? In dem oben genannten Beispiel könnte das sein: „Ich bin eine Führungskraft, meine Mitarbeiter folgen mir und wir erreichen unsere Ziele“. Diese Identität ruht auf den eigenen Werten und Glaubenssätzen. Dies sind Ideale, denen man sich selbst verpflichtet hat bzw. Meinungen, die sich indoktriniert haben. So kann ein Wert beispielsweise „Leistung“ sein. Dieser Wert beruht auf den Erfahrungen, dass man nur durch Leistung anerkannt (geliebt) wird. Beispielsweise gibt es von den Eltern eine Belohnung, wenn man gute Noten mit nach Hause bringt. Diese Erfahrung wandelt sich im Laufe der Zeit zu einem Glaubenssatz, der sich im Unterbewusstsein verankert hat. Entsprechend dieser oberen drei Ebenen erwirbt die Person entsprechende Fähigkeiten (vierte Ebene), um sich situationsbezogen adäquat verhalten zu können (fünfte Ebene). Das Verhalten ist kontextbezogen (sechste Ebene) und kann im Idealfall entsprechend angepasst werden.

Selbstwert und Reaktion

Soweit zunächst das Modell. Eine Nachricht, wie oben beschrieben, greift die oberen beiden Ebenen an: Zugehörigkeit und Identität. „Die eigene Firma (soziale Gruppe) verstößt mich und sagt, dass ich keine Führungskraft bin, obwohl ich doch soviel gelernt und geleistet habe!“ Dies kann ein Selbstbild schwer ankratzen bzw. eine Person sogar zerstören-je nachdem, wie stark die Bindung an die Gruppe bzw. wie ausgeprägt der Selbstwert der Person ist.

So sind unterschiedliche Reaktionen denkbar, beispielsweise:

  • Zusammenbruch
    Die Person wurde so in ihrem Selbstverständnis verletzt, dass sie nicht nur an sich zweifelt, sondern regelrecht verzweifelt. Hier ist im schlimmsten Fall mit Suizid zu rechnen.
  • Innere Kündigung
    Die betroffene Person behält ihr Selbstbild, fügt sich jedoch auf Grund von äußeren, zumeist finanziellen Gründen, der Veränderung. Sie hat jedoch die Bindung zum Unternehmen vollständig verloren.
  • Verlassen der Firma
    Die betroffene Person verliert die Bindung zum Unternehmen, behält ihr Selbstbild und zieht daraus die Konsequenz.
  • Akzeptanz und Anpassung
    Die Person ist so flexibel disponiert, dass sie mit der veränderten Situation klar kommt, ohne ihre Identität und ihre Glaubenssätze zu arg verändern zu müssen („Survival of the fittest“).  Wie stark jedoch die Bindung zum Unternehmen bleibt, hängt davon ab, wie der weitere gemeinsame Weg von Mitarbeiter und Firma gestaltet und umgesetzt wird. Vertrauen ist schnell verloren und nur mühsam wieder aufgebaut.

Keine dieser Reaktionen ist wirklich hilfreich für das Unternehmen und die betroffene Person. Verletzung der Persönlichkeit führt zu einer klassischen lose-lose Situation und hinterlässt spürbare Narben.

Entwicklung der Persönlichkeit

Alles, was der Mensch gelernt hat, kann er erweitern, verändern oder vergessen. Eine Entwicklung der Persönlichkeit ist möglich und kann bewusst gesteuert werden. Der Schlüssel dazu ist die bewusste Reflektion des eigenen Verhaltens und dessen Motivation. Was tue ich warum? Wie reagiert mein Umfeld und erreiche ich das, was ich beabsichtige? Sehr hilfreich bei diesem Prozess ist das Feedback aus dem Umfeld. Also die Wahrnehmung des eigenen Verhaltens durch die Menschen, mit denen ich zu tun habe.

Im betrieblichen Umfeld ist dies, gerade für Führungskräfte, sehr schwierig. Sie leben im Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsidealen der Personaler, harten Umsatz- und Ergebniszielen der Geschäftsführung sowie den Wünschen und Bedürfnissen von Mitarbeitern und Kollegen. Wer hier nicht ein starkes Selbstbewusstsein hat und für sich eine klare, verlässliche Linie vertritt, geht fast zwangsläufig unter.

Unterstützend kann hier ein Coach mitwirken, der mit Hilfe von gezielten Fragestellungen die Analyse der Motive fördern kann. Nach Dilts ist es am einfachsten, mit dem Lernen von Ebene 2 an zu beginnen. Stimmt die eigene Identität, gestützt durch die Glaubenssätze und Werte, ist das Erlernen von Fähigkeiten und Verhalten wesentlich einfacher als andersherum. Leider setzen Entwicklungsmaßnahmen aber oftmals an der Fähigkeits- und Verhaltensebene an.

Wahrnehmung und Beurteilung

Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Beurteilung von Menschen. Als Außenstehender können wir lediglich das Verhalten einer anderen Person im jeweiligen Umfeld beobachten. Unsere eigenen Maßstäbe oder vorgefertigte Kriterien können dann als Basis einer Bewertung herangezogen werden. Welche Persönlichkeit hinter dem Verhalten steckt, können wir nur mutmaßen. Diese Mutmaßungen sind dann das sogenannte Fremdbild. Der einzige Schnittpunkt von Selbst- und Fremdbild ist das Verhalten in bestimmten Situationen. Ist das Verhalten immer wieder gleich, so lässt sich durch dieses Muster darauf schließen, wie die Person beim nächsten Mal im gleichen Umfeld reagieren könnte. Lernprozesse und Motivations-verschiebungen bleiben dabei jedoch  vollständig unberücksichtigt.

Beobachtungen sind nie objektiv. Selbst wenn unterschiedliche Menschen dasselbe beobachten, sehen sie nie das Gleiche. Es gibt keine vom Beobachter unabhängige Realität. Diese These klingt zunächst sehr provokant, erweist sich jedoch bei genauerer Betrachtung als absolut zutreffend: Der Prozess der Wahrnehmung erfolgt in zwei Stufen. Zunächst einmal werden reale Informationen über die Sinne des Menschen: Hören, Sehen, Tasten, Riechen, Schmecken aufgenommen und in elektrische Impulse umgesetzt. Diese elektrischen Impulse werden über die Nervenbahnen an das Gehirn übertragen und dort auf Basis der bisher gemachten Erfahrungen zugeordnet, ergänzt, verändert, verworfen und letztendlich neu geordnet. Dieses bereits unbewusst bewertete Bild nimmt unser Verstand dann als (individuelle) Realität wahr.

Ein Beispiel: Auf Grund von vergangenen Bewertungen wird ein Defizit vermutet. Nun ist es sehr wahrscheinlich, dass viele Anhaltspunkte gesehen werden, die für ein solches Defizit sprechen.

Andersherum wird nicht weiter nach Gegenbeispielen gesucht, da diese ja ohnehin nicht da sind. Auf Grund dieser partikulären Wahrnehmung machen wir uns ein falsches Bild. Die selbst erfüllende Prophezeiung.

Die Interpretation dieser individuellen Realität erfolgt wiederum nicht unbedingt sachlogisch, sondern wird durch die momentane Gefühlslage des Beurteilenden beeinflusst. Positive Grundstimmungen verstärken die wohlwollende Interpretation und negative Stimmungen verstärken ablehnende Empfindungen.

Feedback und Kommunikation

Unter Berücksichtigung all dieser verschiedenen Aspekte ist eine Aussage, wie zu Beginn des Artikels beschrieben, sehr fraglich. Ein respektvoller Umgang mit Menschen sollte anders aussehen.

Wenn das Verhalten von Führungskräften nicht zu den gewünschten Vorgehensweisen im Unternehmen passt, muss hieran dann gemeinsam kontinuierlich gearbeitet werden. Je länger eine Person ohne substanzielles Feedback bleibt, desto unverständlicher und verletzender wird dann „plötzlich“ aufkommende Kritik.

Regelmäßiges, kontextbezogenes Feedback mit der Möglichkeit einer vertrauensvollen Reflektion auf die eigenen Persönlichkeitsebenen kann hier ein hilfreicher Weg sein. Wichtig dabei sind Hinweise durch Ich-Botschaften und das Hinterfragen der jeweiligen Absicht: „Auf mich hat das gerade so und so gewirkt, war das Deine Absicht?“ … „Warum hattest Du denn in diesem Moment diese Absicht?“

Feedback ist ein freundschaftliches Angebot an jemanden. Es bietet die Möglichkeit, dass sowohl der Geber als auch der Nehmer gemeinsam lernen und sich entwickeln können. Die fünf folgenden Regeln haben sich bei solchen Gesprächen bewährt:

  • Feedback ist immer freiwillig
  • Feedback muss immer mit den positiven Aspekten beginnen
  • Feedback muss aktuell und konkret sein
  • Feedback muss konstruktiv sein, also Ansätze zur Verbesserung enthalten
  • Feedback ist immer eine subjektive Wahrnehmung von Verhalten und niemals die Realität

Jeder Mensch hat es verdient, respektvoll behandelt zu werden. Auch und gerade in Firmen, in denen wir einen Großteil unseres Lebens verbringen. Führung und gerade die Führung von Führungskräften muss halten, was sie selber fordert. Ja, es ist anstrengend und zeitaufwendig, wird m.E. nach aber durch motivierte und engagierte Mitarbeiter und Führungskräfte belohnt.

Resümee

Fremdbilder, also Einschätzungen von Personen, sind immer subjektiv. Beobachtet werden können nur kontextbezogene Verhaltensweisen. Die Interpretation der Beobachtung erfolgt ausschließlich vor dem eigenen Erfahrungshintergrund. Rückschlüsse auf Persönlichkeit, Motivation oder Fähigkeiten sind nur sehr eingeschränkt möglich.

Entscheidungen, die einem Urteil über eine Person gleichkommen, sind immer verletzend und demotivierend. Ein „professioneller“, sprich emotionsloser Umgang mit solchen Entscheidungen ist für die Betroffenen nicht möglich.

Verhindern lassen sich solche Situationen nur durch ernst gemeinte Entwicklungsprogramme und persönliches, ehrliches Feedback mit der Intention, gemeinsam zu wachsen. Kontinuierliche Kommunikation ist zeitaufwendig jedoch lohnend, für alle Beteiligten.

Ausblick

Wie muss eine Führungskraft denn nun sein und was muss sie tatsächlich können?

Mehr dazu finden Sie bald hier.